Ein urwüchsiges und traditionelles Heimatfest ohne Beispiel!
Grenzgang in Biedenkopf ein Zauberwort für jeden Bürger dieser Stadt und für jeden, der dieses einmalige Volksfest erlebte. Wahrhaft verzaubert scheint das mittelalterliche Städtchen in diesen Augusttagen zu sein von einer Festfreude, die alles in ihren Bann zieht.
Es ist ein uralter Brauch, den man in Biedenkopf alle sieben Jahre begeht, begründet auf die unbändige Liebe der Biedenkopfer zu ihrer Heimat und ihrem Wald. Er hat seinen sinngemäßen Ursprung in den Grenzbegehungen unserer germanischen Vorfahren, wie sie schon Julius Cäsar beschrieb und lebte im Mittelalter neu auf, als noch keine Kataster und Grenzsteine die Gemarkung umrissen. Aus dem Jahre 1693 stammt die älteste Urkunde über einen Grenzgang in Biedenkopf, aber vermutlich ist diese Sitte schon viel älter. Biedenkopf hat nach Frankfurt in Hessen den zweitgrößten kommunalen Waldbesitz mit 2200 Hektar. Darauf waren die Biedenkopfer seit eh und je stolz und die Nachbarn neidisch. Sie versuchten in früheren Zeiten hin und wieder, den Biedenkopfern ein Stück ihres Waldes abzufrennen. Das brachte die Städter auf den Plan. Alle sieben Jahre, früher sogar öfter, riefen sie die Bürgerschaft, die fürstlichen Verwaltungsbeamten und Richter zu einer Grenzbegehung zusammen und luden die Schultheißen und Räte der Nachbardörfer ein, um strittige Grenzfragen zu klären. Aus dieser Grenzbegehung wurde mit der Zeit ein großes Volksfest, das so voller Eigentümlichkeiten und Reize ist, dafs es alle begeistert, die es erleben.
Träger des Festes sind die Männergesellschaften und Burschenschaften, die sich einige Monate vorher zusammen schliefen, ihre Führer wählen und nach festen Überlieferungen eines fein ausgeklügelten Reglements und auf Anweisung des Grenzgangskomitees die Vorbereitungen durchführen. Die Burschenführer wählen ihren Burschenobersten und Burschenhauptmann und die Männerführer ihren Männerhauptmann und Bürgerobersten, der an den drei Grenzgangstagen Befehlsgewalt über die Stadt hat. Die interessantesten Gestalten des Grenzganges sind indes der Mohr, die beiden Wettläufer, und die Sappeure. *Die Gestalt des Mohren war wohl im Mittelalter ein Schreckgespenst für die Bewohner der Nachbardörfer und die Wettläufer mögen ihn durch ihr Peitschenknallen bei der Einschüchterung der Nachbarn unterstützt haben, während die Sappeure mit ihren langen Äxten die Grenzschneißen aufhieben. In ihren phantastischen, bunten Uniformen sind diese Gestalten heute die Hauptpersonen des Grenzganges. Der Mohr führt tanzend mit seinem langen Säbel den Zug an, die Wettläufer umkreisen ihn ständig, unter lautem Peitschenknallen, während alles, was laufen kann, an den drei Festtagen morgens über die Grenze geht. Auf einem idyllisch gelegenen Waldplatz wird an allen drei Tagen Frühstücksrast gemacht. Einem mittelalterlichen Heerlager gleicht solch ein Frühstücksplatz. Die Gesellschaften finden sich um ihre Fahnen zusammen und schnell ist bei Strömen des ausgezeichneten Biedenkopfer Bieres alles eine herzliche Gemeinschaft. Jeder Streit und Hader muß an deträgn Grenzgangstagen begraben werden, so will es ein uraltes, ungeschriebenes Gesetz. Der Mohr und die beiden Wettläufer führen dort die Gäste und die aus allen Teilen der Welt gekommenen ehemaligen Biedenkopfer zum Grenzstein, um sie zu huppchen", das heißt, sie werden von kräftigen Männerarmen sachte dreimal auf den Grenzstein gesetzt, wobei der Mohr die Worte spricht: „Der Stein - die Grenze in Ewigkeit".
Die berittenen Offiziere, die Führer, der Mohr und die Wettläufer führen nach dem Frühstück den Zug über den weiteren Verlauf der Grenze zurück zur Stadt und nachmittags zum Festplatz, wo das fröhliche Treiben bei Tanz und vielerlei Unterhaltung nicht abreißt.
Eine Beschreibung des Grenzgangsfestes in Biedenkopf mit all seinen Einzelheiten, geschichtlichen und organisatorischen Feinheiten würde ein Buch füllen.
Man muß erleben, wie dieses beispiellose Fest aus stolzer Tradition, uraltem Brauchtum und Heimatliebe harmonisch zusammenwächst, man muf die überschäumende Freude am Festefeiern und die vielgerühmte Gastfreundschaft der Biedenkopfer kennen lernen. Deshalb laden wir Sie herzlich ein, beim Grenzgangsfest in Biedenkopf vom 15. bis 17. August 1963 unser Gast zu sein.
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*Die heutige Sichtweise betrachtet die Herkunft und die Rollen von Mohr und Wettläufer als überholt, obwohl ihre Ursprünge und Motivationen weiterhin ungewiss sind.
Den Flyer können sie sich auch als PDF-Dokument herunterladen.