Einige der im Buch beschriebenen Museumsteile existieren nicht mehr oder wurden in den vergangenen Jahren grundlegend überarbeitet.
Führer durch das Hinterlandmuseum im Schloß Biedenkopf
Gleich einer Krone schwebt das alte Landgrafenschloß über der Stadt Biedenkopf. War es zur Zeit seiner Erbauung eine nach Westen vorgeschobene Grenzfestung der hessisch-thüringischen Landgrafen, so wurde es vor ca. 75 Jahren durch Einrichtung eines Heimat- und Trachtenmuseums in seinen historischen Räumen zu einem vielbesuchten Ausflugsziel.
Schon von weitem grüßt die Burg über dem Lahntal ihre Besucher. Sie zieht sie hinauf auf den Schloßberg, hinter die Mauern auf den Bergfried, und schließlich in das Schloß. Zwar gingen Kriege und baulicher Verfall nicht spurlos an der Anlage vorüber, im wesentlichen blieb sie uns aber über 600 Jahre erhalten.
Rundblick vom Turm
Da ist zunächst der herrliche Blick vom Turm lahnabwärts auf Eckelshausen, Friedensdorf und Allendorf/Hohenfels. Unmittelbar vor uns liegt am Hang des Schloßberges das erstmals 1254 als Stadt genannte Biedenkopf, deren Bürgerhäuser in der Kernstadt ihre Giebel der Straße zuwenden. Wir sehen die evangelische Kirche (erbaut 1891), davor den prächtigen Fachwerkbau des ehemaligen Rathauses aus dem 18. Jahrhundert und anschließend unten im Tal die Neustadt (gegründet um 1335) mit dem schönen, weiträumigen, dreieckigen Marktplatz und dahinter den Galgenberg und darauf das Bürgerhaus. Es schließt sich an das neue, nach dem 2. Weltkrieg entstandene, ausgedehnte Industriegelände, rechts vom Bahnhof 3 trachteneue Hochhäuser (2 Altenwohnheime, Kreissparkasse). Weiter rechts vorn im Talkessel liegen das neue Stadion und etwas seitlich das, nach Plänen von Professor March erbaute, moderne Schwimmbad. Weiter zurück, also lahnaufwärts, sehen wir im Tal die Ludwigs-hütte, die Wiege der Eisenindustrie im oberen Lahntal, wo nachweislich seit 450 Jahren Eisen erschmolzen, vergossen bzw. verarbeitet wird. Hier, an der engsten Stelle des oberen Lahntals, bot sich damals die Lahn als Wasserkraft an, zum Antrieb der Gebläse und Hämmer in den Eisen gewinnenden und verarbeitenden Waldschmieden. Der Waldreichtum lieferte die dazu benötigte Holzkohle. Die Eisenerze fand man in der näheren und weiteren Umgebung.
Zwischen Schwimmbad und Ludwigshütte liegen diesseits der Bahn die katholische Kirche, die Bauten der Stadtschule und der Berufsschule, jenseits der Bahn die des deutschen Jugendherbergwerkes und der Oberschule (Lahntalschule).
Wir befinden uns in den Ausläufern des Rothaargebirges. Von der nahen, 675 m hohen Sackpfeife, der höchsten Erhebung in unserem Raume, grüßt uns der 200 m hohe Mast des Senders Biedenkopf. Bis dorthin reicht allein in nördlicher Richtung der Waldreichtum der Stadt Biedenkopf, der um 3000 Hektar beträgt.
Aus der Geschichte der Burg: Ihre Entstehung
Die Erbauung der heute sichtbaren Burganlage fällt zweifellos in die Zeit der Unruhe im deutschen Kaiserreich, als die kaiserliche Macht mehr und mehr verfiel und gleichzeitig die des Klerus, der Landesherren und des Adels erstarkte.
So trafen sich im Raum um Biedenkopf mancherlei Besitzrechte. Im Norden, im kaum 15 km entfernten Battenberg saßen nach 1234 der Mainzer Erzbischof und im Westen in etwa 10 km Entfernung die Grafen von Wittgenstein. Von Südwesten aus dem Breidenbacher Grund heraus versuchten unermüdlich die Grafen von Nassau ihren Einfluß zu erweitern (ihnen zinste bereits die Biedenkopfer Kirche). Im Südosten saß auf einer Doppelburg, ebenfalls kaum 10 km entfernt, über Buchenau-Carlshütte des mächtige Geschlecht derer von Hohenfels, das erst 1249 von der Landgräfin Sophie von Hessen unterworfen wurde. Sie war es auch, die 1247 die gisonische Hauptburg Hollende bei Treisbach, keine 12 km von hier, gleichzeitig mit den Burgen Weißenstein bei Goßfelden und Blankenstein bei Gladenbach zerstörte, um so das hessische Gisonenerbe, das sich nach Westen bis Biedenkopf ausdehnte, zu sichern. Die Gründung der Burg Biedenkopf ist danach in dem Streben der hessisch-thüringischen Landgrafen nach Sicherung ihrer westlichen Grenzen zu suchen. Vielleicht bald nach 1180, denn der 1196 erwähnte Ministeriale Hartmuth de Biedenkaph gehörte vermutlich schon zur Burgmannschaft. Vielleicht entstand die Burg erst um 1238 in den Auseinandersetzungen, die Landgraf Heinrich Raspe von Thüringen führte. Sie bildete zusammen mit den Burgen in Frankenberg, Gladenbach (Blankenstein) und Gießen ein System zur Verteidigung der Westgrenze Oberhessen.
Es ist nicht auszuschließen, daß alle Interessenten am Raum um Biedenkopf sich den Besitz seiner Eisengewinnungsstätten sichern wollten. Zahlreiche diesbezügliche Bodenfunde wie Windöfen, Waldschmieden aus der Zeit der Einwanderung der Kelten sind belegt.
Jedenfalls ist die Burganlage, wie sie sich heute bietet, nicht ihr Anfang.
Eine Chronik sagt aus: „sie buwete 1293 Landgraf Otto forne uff den Berg. Vormals lag das slos dahinter". Tatsächlich fand man 1936/37 bei Ausgrabungen Fundamente, die auf eine ganz ansehnliche Anlage hindeuteten. Teile von Außenmauern ließen Schlüsse zu auf ein weites 105 m langes Rechteck mit Wallgraben, 2 Schalentürmen und eine Toranlage. Im Schutz dieses Mauerrechteckes wurden Fundamente von Häusern angeschnitten. In den Jahren danach wurden zwar des öfteren kleinere Unterhaltungsarbeiten durchgeführt, aber erst 1979/80 fanden auf Anregung und unter Leitung des Schloß-vereins durchgreifende Restaurierungsmaßnahmen an Mauern und Fundamenten statt, bei denen nicht nur ein 3. Schalenturm, 1 Schlupfpforte und 1 Saalbau gefunden wurde, sondern auch die Bestätigung, daß der tiefe Graben zwischen der alten und der "for-deren" Burg kein Wallgraben vielmehr ein Steinbruch war.
Der dem Tor vorgelagerte kleine Felskegel hat, wie Brandreste beweisen, einst eine Turmburg getragen, von denen Teile im Museum aufbewahrt werden.
Am Hang des Kegels befinden sich außerdem 2 jüngere Fundamente. Der Turmburg ihrerseits waren Palisadenwall und -graben vorgelagert. Wer diese sogenannte "alte Burg" baute, ist noch im Dunkel der Geschichte verborgen.
Der heutige Bergfried trägt deutlich die Merkmale der Bauweise der Staufenzeit. Er dürfte unter Landgraf Otto unmittelbar nach 1293, der teilweisen Zerstörung der „alten Burg" entstanden sein. Ebenso wohl auch die Gebäude, deren Grundmauern beim Bau der Schloßwart-wohnung 1963 freigelegt wurden (übrigens stehen auf diesen Mauern die großen Vitrinen der Vogelausstellung).
Landgraf Otto I. hielt sich jahrelang — ob freiwillig oder nach Biedenkopf verbannt, sei dahingestellt — auf dem Schloß auf, ebenso wie sein Nachfolger Heinrich II., der Eiserne. Unter ihm entstand um 1360 bis 1365 der Palas mit der Burganlage in der heutigen Form.
Als Burgmannen diente dem Landgrafen der Adel der Umgebung: Die Herren von Breidenbach, von Biedenfeld, von Buchenau, von Bicken, von Döring, von Hohenfels, von Gönnern, von Melsbach (Wüstung bei Breidenstein), von Linnen und Knoblauch. Sie stellten die Burgbesatzung und genossen dafür den landesherrlichen Schutz. Später, als sich die Macht der Landgrafen festigte, versuchte der Adel allerdings, in Ritterbünden gegen die landesherrliche Gewalt anzugehen. 1374 belagerte ein solcher Bund, der Sternerbund, die Burg und wütete in der Stadt. Einige Burgmannen scheinen gemeinsame Sache mit ihm gemacht zu haben. 1405 wurden nassauische Gefangene, die der hessische Landgraf bei der Schlacht in der Stip-pach gemacht hatte, im Turmverlies in Gewahrsam gehalten.
Die "Burg" wird zum "Schloß"
Mit Beginn des 15. Jahrhunderts hörten die kriegerischen Auseinandersetzungen auf. Die Burg verlor den Charakter einer Festung und wurde allmählich als „Schloß", ein gern aufgesuchter Jagdsitz. Man zog von hier zur Jagd in die ausgedehnten Wälder des Hinterlandes, man zog zur Pirsch auf Hirsch und Reh, zur Sauhatz, zum großen Wolfstreiben, man spürte Hasen und Wildkatzen auf, man suchte den Auerhahn. Besonders gern weilte hier Ludwig I. der Friedsame, der 1455 von hier seine Gerichtsordnung für Hessen erließ. Die Burg verschrieb er seiner Schwiegertochter zum Witwensitz. Das Schloß muß also zu dieser Zeit wohnlich, auch für Frauen geeignet, eingerichtet gewesen sein. Auch Philipp der Großmütige (1504-1567) weilte hier und ließ sich von der Stadt Biedenkopf ein Drittel ihres Waldbesitzes schenken, wofür er die restlichen 2 Drittel gut pflegen wollte — ein wahrhaft fürstliches Geschenk der Stadt. Wir können uns gut denken, daß der Empfänger mehr Freude daran hatte, als der Geber.
Inzwischen waren die Burgmannen aus den engen Behausungen der Burg herausgewachsen und in der Stadt ansässig geworden (z. B. die Herren von Döring und Hohenfels in der Obergasse, die Herren von Breidenbach an der Kreuzung von Hintergasse und Umdraht). Aus dem ritterlichen Kriegeradel erwuchs der Hofadel, der in Politik und Verwaltung in der Kirche manches wichtige Amt bekleidete. Er brachte einen Zug höfischen Lebens in die Biedenköpfer Mauern.
Die Burg verliert ihre Bedeutung und verfällt
Im 16. Jahrhundert verlor die Burg an Bedeutung. 1534 wurde sie an die Grafen von Wittgenstein verpfändet, blieb unbewohnt und war verfallen, als die Pfandsumme 1562 endlich aufgebracht war. Sie wurde wieder hergerichtet, und solange Marburg Sitz der hessischen Landgrafen gewesen war, blieb der Schimmer des höfischen Lebens in Biedenkopf erhalten. Als 1604 die oberhessische Linie der Landgrafen ausstarb, hatte die Burg ausgedient und verfiel. Die hintere Burg lag schon längst in Schutt. Keiner der alten Stiche, weder Gerstenbach (um 1500) noch Dillich (1605) noch Merian (1646) zeigen etwas von ihr. Allerdings war der Querbau, auf dessen Grundmauern die heutige Schloßwartwohnung steht, noch erhalten.
Während Kassel und Darmstadt um das Marburger Erbe und auch ums Hinterland stritten, verwahrloste das Schloß. Bei der Übernahme durch Kassel war es schon fensterlos. Ein Darmstädter Inventar 1629 zeigt es fast ohne Inneneinrichtung. Da sind wir schon mitten in der Zeit des 30jährigen Krieges. 1629 wird bestimmt, „daß auf Schloß Biedenkopf, wie vor undenklichen Zeiten geschehen, aber vor ungefähr 14 Jahren unterlassen, wiederum ein Wächter gehalten werde, der die Tag- und Nachtwachen verrichten, die Uhr anblasen und bei unversehener Feuersbrunst in Stadt und Amt mit Hornblasen Zeichen geben möge, was vorher der Scheuer- oder Speicherknecht getan". — Der Wächter hat geblasen bei dem großen Brand 1635, bei dem großen Brand und Plünderung 1647 durch Truppen des Kaisers Ferdinand II. unter Fermamont, wo 150 Gebäude abbrannten. Damals gab es im Schloß selbst nichts mehrzu holen. 1652 gingen Stadt und Schloß Biedenkopf endgültig an Hessen-Darmstadt über. Zwar kam der Hof noch ins Hinterland zu glänzenden Jagden, doch war unserem Schloß in dem um 1660 erbauten Jagdschloß Katzenbach, das bis 1774 bestand, eine Konkurrenz entstanden. So entfaltete sich das Hoflager vor der Stadtmauer im Hofgarten, wo heute die Brauerei Balbach steht — ein Zeichen, daß das Schloß nicht mehr einladend erschien. Es diente lediglich als herrschaftlicher Fruchtspeicher, blieb aber auf diese Weise wenigstens baulich erhalten.
Die Restaurierung des Schlosses
Erst die Zeit der Romantik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weckte Achtung und Liebe vor unserem geschichtlichen Kulturgut. Dieselbe Zeit, die die Marienburg in Ostpreußen wiederherstellte, die den Kölner Dom fertigbaute, ließ auch das Biedenkopfer Schloß renovieren. Großherzog Ludwig II. ließ durch seinen Baumeister G. Moller, Darmstadt, 1843-1847 die Ringmauern und den Bergfried, der einstmals ein Dach getragen hatte, instandsetzen. Doch wenig später stand das Schloß wieder unbeachtet da; der Wald wurde dichter und höher und schloß es schließlich ganz ein.
Die Gründung des Museums im Schloß
1908 brachte der Geschichtsverein für den Kreis Biedenkopf, insbesondere Pf r. Spieß und Schornsteinfegermeister Carl Pfeil sen., durch den Einbau des Heimatmuseums das Schloß zu neuer Bedeutung. Carl Pfeil jun. und Reitze Fischbach legten den Grundstock zur heutigen, umfangreichen Sammlung, die der Schloßverein als Treuhänder des kreiseigenen Schlosses seit 1949 wesentlich erweitert hat. Die Schloßterrasse mit Wirtschaftsgebäuden, der sogenannte Querbau mit Schloßwartwohnung, Werkstatt und Museumsräumen, feste Straßen und Parkplätze entstanden ebenfalls unter des Vereins Initiative.
Aus der Geschichte der Stadt Biedenkopf
Die ersten Erwähnungen Biedenkopfs fallen in die Jahre 1196 und 1233, seit 1254 wird es als hessische Stadt genannt. Der kleine Stadtkern - ursprünglich wohl allein die Obergasse - umfaßte die Oberstadt mit dem oberen Marktplatz und der, in der Mitte des 13. Jahrhunderts, erbauten Kirche (1891 durch einen Neubau ersetzt). 1335 entstand um den unteren Marktplatz allmählich die Neustadt.
1415 stifteten die Herren von Breidenbach das Hospital mit der 1975 restaurierten Hospitalskirche, deren Chor aus dieser Zeit stammt. Sie weihten in der Stadtkirche einen Altar in der Notgottes-kapelle — dem einzigen, heute noch erhaltenen Rest der mittelalterlichen Kirche.
Mit der Burg war die Stadt durch Mauern verbunden, deren Verlauf die alten Stiche gut erkennen lassen. Drei Türme - der Hexenturm an der Hintergasse und zwei Türme oberhalb der Kirche - sind noch z. T. erhalten.
1248 und 1284 war Biedenkopf hessische Münzstätte.
1564 und 1611 übersiedelte ein Teil der Marburger Hohen Schule wegen der Pest vorübergehend nach Biedenkopf. Das Schenken-schanzsche Haus, vermutlich ein ehemaliger Adelshof gegenüber der Stadtkirche und einige Häuser in der Nähe der Kirche blieben erhalten, als 1635 und 1717 die Stadt durch Brand vernichtet wurde, 1635 wurden 64 Häuser zerstört. 1717, als viele Biedenkopfer auf dem Jacobimarkt in der Nachbarstadt Battenberg waren, wurden innerhalb von 3 Stunden 90 Häuser und 57 Scheunen eingeäschert.
Woher kommt die Bezeichnung "Hinterland"
1652-1866 war Biedenkopf im Besitz von Hessen-Darmstadt. Aus der räumlichen Entfernung von den übrigen Bezirken und seiner Hauptstadt Darmstadt — man denke nur an die damaligen Straßen und Postverhältnisse — entstand der Name „Hinterland", zumal es durch preußisches Gebiet getrennt war. Zeitweise (um 1850) war das Hinterland selbständiger Regierungsbezirk, der von Hermannstein bei Wetzlar bis nach Bromskirchen bei Hallenberg reichte und die Dörfer Vöhl und Basdorf am Edersee einschloß. Dieser abseitigen Verkehrslage verdanken wir übrigens, daß einige Trachten hier bis in die Gegenwart getragen wurden.
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts stellte neben der bescheidenen Land- und Forstwirtschaft das Handwerk, vor allem die Tuchmacher-ei, einen wichtigen Erwerbszweig der Bevölkerung dar.
Mit der Einführung von Zöllen zwischen Hessen-Darmstadt und dem benachbarten Preußischen Kurhessen kam dieses Handwerk zum Erliegen, das Kapital zur Beschaffung maschineller Webstühle fehlte; allein über 1000 Biedenkopfer wanderten nach Nordamerika aus.
1866 übernahm Preußen das „Hinterland" und schloß Biedenkopf an den Regierungsbezirk Wiesbaden an.
Das Hinterlandmuseum
Eingangshalle
4 Stockwerke im ehemaligen Palasgebäude gewähren einen Einblick in die Geschichte und Lebensverhältnisse des ehemaligen Hinterlandes sowie in den geologischen Aufbau und die heimische Tierwelt. Die Sammlungen des Hinterlandmuseums zeigen die Lebensgestaltung unserer Vorfahren, die sich die Gegenstände des täglichen Bedarfs nicht als Fabrikware kauften, sondern noch aus echtem ursprünglichem Volkstum heraus selbst gestalteten.
In der Eingangshalle haben außer einer Anzahl von Gemeindewappen des ehemaligen Kreises Biedenkopf 3 Gründer dieses Museums einen Ehrenplatz. Rechts sehen wir eine Kleinstadt-Idylle mit einem Kaiserlichen Reisepostwagen, einem sogenannten Räderschlitten, dem letzten der Oberpostdirektion Frankfurt/Main. Erdiente bis 1908 dem Verkehr zwischen Biedenkopf und Battenberg. Reisegepäck, d. h. Schließkörbe u. ä., sind auf dem Dach abgestellt. Daneben sehen wir ein Hoheitszeichen von der Grenze zwischen dem Großherzogtum Hessen und Königreich Preußen bei Rodheim a. d. Bieber, ferner einen Großherzoglich-Hessischen Postbriefkasten.
Die schnelle Vergänglichkeit unserer Zeitverhältnisse verkörpern 3 Krieger-Vereinsfahnen: Eine trägt das Symbol „Für Fürst und Vaterland 1844", die zweite „Für König und Vaterland" (bis 1871) und die dritte „Für Kaiser, König und Reich" (bis 1918). In der Vitrine darunter befinden sich u. a. Uniformen der Regimenter, zu denen die hinterlän-der Militärdienstpflichtigen vor dem 1. Weltkriege im allgemeinen „gezogen" wurden: die der Marburger Jäger (kurhessisches Jäger-bat. Nr. 11) und die des 116. Gießener Infanterieregiments Kaiser Wilhelm II. Ferner 1 komplette Reservistenausstattung (u. a. Pfeife, Schnapsflasche, Aschenbecher, Stock) und neben anderen Militaria Vorderlader, die in den Befreiungskriegen von 1813-1815 von hiesigen Bürgern mitgeführt wurden.
Interessant sind an der Wand des Treppenaufganges die Aufrufe „An mein Volk" von König Friedrich Wilhelm III. (1813) und Kaiser Wilhelm II. (1914).
Eine nähere Betrachtung verdient auch die ehem. Feuerspritze der Stadt Biedenkopf (um 1750) mit ihren Schnitzereien und dem rundherum schwenkbaren Strahlrohr (Wendehals). Damals gab es noch keine Schläuche. Man fuhr deshalb die Feuerspritze dicht an den Brandherd heran und richtete den Wendehals auf ihn. Die gemauerte Zisterne diente zum Auffangen des Regenwassers für die sonst wasserlose Burg.
Geologische Sammlung
Die geologische Sammlung rechts der Eingangshalle beinhaltet Gesteine und Versteinerungen aus dem Kreis Biedenkopf und den Nachbargebieten. Unser Hinterland liegt am Ostrand des Rheinischen Schiefergebirges und wird von Gesteinen des Devon, des Karbon und Zechstein aufgebaut, Alter somit 300-350 Millionen Jahre (Übersichtskarten in der hinteren Fensternische und am Pfeiler).
Die ältesten, gezeigten Stücke stammen aus dem Andreasteich-Quarzit von Gießen (Alter 400 Millionen Jahre, ausgestellt in der Vitrine „Silur und Devon" zwischen den vorderen Fensternischen).
Besonder Beachtung verdienen
- Tintenfische mit geradem und gewundenem Gehäuse (Orthoceras, Goniatites) aus dem Dachschiefer von Wissenbach und Simmersbach sowie von Eckelshausen,
- spiralförmige Schnecken-Laichschnüre aus dem Unterkarbon vom Musbachtal bei Biedenkopf (hiervon sind der Wissenschaft bisher nur wenige Exemplare bekannt).
- Kerne aus der Bohrung Kombach, in der Mineralwasser angetroffen wurde.
- Mineralien und Erze aus Siegerland und Dillgebiet, u. a. interessante Kappenquarze. Die Vorkommen von Eisen-, Mangan-, Kupfer-, Blei-, Zink-, Silber- und Quecksilbererz waren die Grundlage des inzwischen vergangenen Bergbaus.
In der Vitrine „Allgemeine Geologie" wird die Entstehung von Gesteinen, Faltungs- und Verwitterungserscheinungen erläutert.
Die Burgküche ist links der Eingangshalle. In ihrer Mitte steht der große Rauchfang, unter dem ein ganzer Ochse am Drehspieß auf einmal gebraten werden konnte. Der Mauerdurchbruch, rechts in Fußbodenhöhe, diente als „Küchenausguß". Ein alter Tisch, eine Schüsselbank mit meist Marburger Töpfereierzeugnissen und kupfernen Wasserkesseln, ferner hölzerne Weinkannen (sogenannten Stützen), verschiedene gußeiserne Waffeleisen, eine große Obstpresse und ein interessanter gußeiserner Herd vervollständigen die Einrichtung der Küche. Eine Besonderheit stellt die Gewürzmühle dar, die mit dem früheren Gewürzhandel der Biedenkopfer (um 1800) zusammenhängen dürfte. Ihr früherer Standort war im Hof der Hirschapotheke.
Links im Nachbarraum betrachten wir in 3 großen, besonders sehenswerten Dioramen die heimische Vogelwelt. In ihnen werden die Vögel zu 3 verschiedenen Jahreszeiten in der jeweiligen Landschaft gezeigt.
Rittersaal
Im 1. Stock gelangen wir zunächst in den Rittersaal.
Im Blickpunkt dieses Raumes befinden sich der kunstvoll gepflasterte Kamin mit Zubehör und die beiden Prunkharnische mit Schwert und Schild, darüber Wappen einiger Rittergeschlechter dieses Schlosses. In der kleinen Fensternische eine Pieta — Anfang 15. Jahrhundert — aus der früheren Biedenkopfer Stadtkirche, an den Wänden wertvolle, über 200 Jahre alte, historische Geweihe und seltene Jagdtrophäen. Truhen mit schöner Schnitz- und Einlegearbeit geben dem Rittersaal eine wohnliche Note.
Die Fahne mit dem hessischen Löwen von 1811 wurde von hessischen Regimentern während der Freiheitskriege von 1813-1815 gegen Napoleon mitgeführt.
Außer den gemauerten Sitzgelegenheiten in den Fensternischen finden wir Stühle aus 1949 mit dem Namen jeder Gemeinde des ehemaligen Kreises Biedenkopf als jeweiligem Stifter. Die beiden Mitteltische erinnern an die 7. Hinterland-Messe 1949 in Biedenkopf.
Vitrinenraum
Von gediegener, schöpferischer Frauenhandarbeit zeugt die herrliche Volkskunst - Weiß - Stickerei im Vitrinenraum links neben der Zugangstreppe zum Rittersaal. Vor allem begeistern unsere Besucherinnen die Originalstickereien und die vergrößerten Fotos aus der Zeit ab 1720 aus dem Hinterland, speziell aus dem „Breiden-bacher Grund". In jahrelanger Kleinarbeit wurde diese wertvolle Volkskunst durchforscht, die eine unwahrscheinliche Harmonie ausstrahlt.
Beachtenswert ist auch der Lottoschein aus dem Jahre 1789, von der 126. Ziehung.
Von den ausgehängten Bildern und Stichen aus der Biedenkopfer Vergangenheit sind die Gegenüberstellungen einiger Fotos vor 1900 und 1960 hervorzuheben, die uns zeigen, wie wenig sich die Häuserfronten am Markt geändert haben, umsomehr aber Brunnen und Fahrzeuge. Auf die über der Lehrschau gezeigten Buntfotos von Fachwerkbauten und Kirchen sei besonders hingewiesen.
Von der ehemaligen Jägerei in unseren waldreichen Jagdgründen erzählen Jagdtrophäen (überwiegend aus derSammlung Gies, Ernst-hausen) und Abbildungen der ehemaligen Jagdschlösser Katzenbach und Kröge bei Battenberg, Pulverhörner, Jagdtaschen usw.
Aufmerksamkeit verdient das seltene französische Musikinstrument „Vielle", ein Gegengeschenk der Stadt La Charitö-sur-Loire, der Schwesterstadt von Biedenkopf, mit der uns viele Bande der Freundschaft verknüpfen.
Grenzgang
Im gegenüberliegenden Raum wird der Versuch gemacht, Herkunft und Brauchtum des Grenzgangs zu veranschaulichen. Der Grenzgang ist im Mittelalter üblich gewesen, um die Gemarkungsgrenzen — die damals noch nicht mit Grenzsteinen festgelegt waren — zu sichern. Es war üblich, daß die Eltern der Jugend den Verlauf der Grenze während des Grenzganges mit Hilfe von Merkpunkten (z. B. markanten Bäumen, Steingruppen) zeigten. Nachdem dann überall Grenzsteine gesetzt worden waren, entwickelte sich der Grenzgang
zu einem Volksfest, das heute noch in altertümlicher Weise alle 7 Jahre Mitte August gefeiert wird. Es bilden sich Bürger- und Burschenschaften mit jeweils eigenen Führern. Bürgeroberst, Bürgerhauptmann, Burschenoberst und Burschenhauptmann haben das Kommando über alle.
Dem Grenzgang voran tanzt der Mohr in überlieferter Tracht, während die Wettläufer mit langen Peitschen den Zug seitlich sichern. Zwei Sappeure schlagen den Weg durch den Wald frei. Drei Tage dauert der Umzug. Im Walde herrscht auf den Frühstücksplätzen ein munteres Treiben, wo den Gästen unter Trommelwirbel vom Mohr und den Wettläufern durch dreimaliges „Huppchen" auf den Grenzstein der Grenzverlauf eingeprägt wird.
Trachtenschau
Wir gehen zurück durch den Rittersaal in das Obergeschoß und dort gleich nach rechts und gelangen in eine bedeutende und interessante Trachtenschau. Bis um die Zeit des 1. Weltkrieges hatten sich 4 grundverschiedene Trachten erhalten. Das Hinterland war durch äußere Einflüsse wenig berührt. Obwohl sich das inzwischen wesentlich geändert hat, tragen sie alte Frauen z. T. heute noch und die Jugend zeigt sie bei folkloristischen Veranstaltungen tanzender-weise recht gern und erntet reichen Beifall. Lebensgroße Figuren tragen Originaltrachten des Hinterlandes. Sie sind mit der Flachsbearbeitung bis zum Leinen beschäftigt, sie feiern Hochzeit, nehmen das Abendmahl ein und stehen trauernd am Grabe eines verstorbenen Familienmitgliedes.
Wir sehen aber auch in das bewegte Leben dreier Generationen, wie es sich in einer Bauernküche ehemals abspielte.
Der Mensch in seiner Umwelt
Einer der waldreichsten Kreise in Hessen war der ehemalige Kreis Biedenkopf mit einem Bewaldungsprozentsatz von 47,8 Prozent seiner Gesamtfläche. Und so stoßen wir bei unserem Rundgang zunächst auf einen hohen Forstbeamten in seiner guten Stube, die zugleich „Bureaux" war.
Gegenüber sind Alt und Jung in Scheune und Spinnstube versammelt. In einer Sondervitrine werden Tugendkronen, Totenkronen und Lüstchen (Bräutigamsträuße) gezeigt. Bis vor dem 1. Weltkrieg gab es in den meisten Dörfern noch nicht die Sitte, Verheirateten oder älteren Ledigen grüne Kränze mit Blumen oder sonstigen Grabschmuck zu geben. Starb ein junger Mann oder ein Kind, wurde die Leiche im Sarg mit Papiersträußen zugedeckt. Auf den Sarg des jungen Mädchens kamen Kronen oder kleine Kränzchen aus Buntpapier, Glasperlen und Flitter, die nach der Beerdigung auf dem Grabhügel an einem Gestell aufgehängt wurden. Die Paten stifteten eine besonders schöne Krone (der Brautkrone ähnlich) oder Strauß („Lüstchen", das den Hut des Bräutigams bei der Trauung schmückt). Diese wurden mit Namensnennung anschließend in der Kirche aufgehängt.
In der nächsten Vitrine ist Hochzeitstag im Hinterland. Das Brautpaar nimmt die damals üblichen Geschenke entgegen.
Besonders interessant dürfte es aber sein, das Leben in einer hinterländer Bauernstube zu betrachten.
Trachtenfiguren am Grabe und am Altar vervollständigen die Vielfalt unserer Trachten.
Es handelt sich in allen Fällen um Originaltrachten. Sie sind versehen mit aller damals üblichen Unterkleidung, Unterwäsche, Strümpfen usw. Die Trachten stellen durchweg einen hohen Wert dar. Es überrascht die Vielfalt der Frauentrachten, die für den jeweiligen Zweck äußerlich voneinander abweichen, daher die Mädchentrachten, Sonntagstrachten, Kirmestrachten, Abendmahlstrachten und Trauertrachten. Wir finden auch Abendmahlstücher und sogenannte Freud- und Leidtücher, deren gegenüberliegende Zipfel bunt oder nur weiß bestickt sind. Hochinteressant sind die Verschiedenheit und die Schönheit der Brustlätze und Ärmelaufschläge.
Beachten sollten wir auch die Kappen, Mützen, Zipfelmützen, Strümpfe und Schuhe (meist gab es keinen Unterschied zwischen rechten und linken Schuhen, da sie über einen Leisten geschlagen und ständig wechselweise rechts und links getragen wurden).
In den bemalten Spanschachteln wurde damals die Erstlingsausstattung geschenkt. Der Bauerntisch mit den Geheimfächern stammt übrigens aus dem Jahre 1692.
Bitte verfehlen Sie nicht einen längeren Blick in die Schaukästen gegenüber den Trauertrachten. In diesen finden Sie interessante Einzelheiten bezügl. Symbolik der Stickereien und der sauberen Fadenführung und einer verblüffenden Farbabstimmung.
In einem Schaukasten ist der Hochzeitskopfputz einer Braut aus dem Gebiet der Marburger Tracht zu sehen. Die Braut trägt zur Abendmahlshaube einen Kranz. Alle geladenen Jungfrauen, die hier Kranzelmädchen genannt werden tragen gleichfalls Haube und Kränzchen. So findet hier das Wort vom Jungfernkranz seinen Sinn.
Während des Umganges durch die Trachtenschau kamen wir an einem für unser Gebiet typischen Hausschmuck vorbei, dem sogenannten Kratzputz im Holzfachwerk. Hessen ist bekanntlich ein Fachwerkland, das Hinterland und der Raum um Marburg sind ein Gebiet, in dem die Gefache noch zusätzlich mit Ranken-, Blättern-, und Blumen-, mit Menschen-, Tier- und geometrischen Ornamenten geschmückt werden. Der handwerklichen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wobei gelegentlich der Humor nicht zu kurz kam.
Die ehemaligen Zünfte
Nachdem wir noch einen Blick in die „Neue Kräme" ein ehemaliges Biedenkopfer Kolonialwarengeschäft getan haben, verlassen wir die Trachtenschau und kommen in den Raum, der den ehemaligen Zünften gewidmet ist.
Vertreten sind durch verschiedene Geräte und Werkzeuge:
Flachsbrechen, Spinnräder, Garnhaspel, Zwirnmühle, Meßeinheiten (Ellen) und die große Tuchschere und die Schwarz- und Schönfärber durch zahlreiche Druckstöcke, die z. T. noch vor wenigen Jahren verwandt wurden. Der Färbkessel steht in der Eingangshalle.
Von allen einstmaligen Berufen waren es wohl die Pinnschmiede, das sind Leute, die Schuhnägel bzw. Zwecken zum Benageln von Schuhsohlen anfertigten. Wenn sie ihre Familie nur annähernd ernähren wollten, mußten sie täglich um 1000 Pinne herstellen. Damit waren sie von 5 bis 21 Uhr intensiv „im Streß" beschäftigt. In speziellen Lederranzen wurden sie zum Abnehmer auf dem Rücken mit einem Gewicht zwischen 50-60 Pfund getragen und das bis zu 28 km Entfernung!
In einem kleinen Raum nebenan erblicken wir eine Alt-Biedenköpfer Schusterwerkstatt mit Werkzeugen aus verschiedenen Zeitaltern; die Schuster-Kugel wurde mit Wasser gefüllt und sammelte wie ein Brennglas das Licht, das so zur Aufhellung der Nahtstelle diente. Zunftlade und Öfchen gehören zur Ausstattung. Den Übergang zur Neuzeit symbolisiert die Steppmaschine.
Die Hutmacher saßen bei ihrer Arbeit meistens auf einer eigentümlichen, sogenannten Schlompbank, wobei sie Sonderwerkzeuge und vielförmige Hutformen benutzten. Zum Richten der geschorenen Haare verwandten sie eine Art Großausgabe des Geigenbogen.
Die Zunft der Schreiner wird lebendig durch den Blick in die Werkstatt eines Biedenkopfer Schreiners, der sich gerade mit der Fertigstellung einer Truhe beschäftigt, sich aber sonst für die Herstellung von Treppen spezialisiert hatte. Die ganze Einrichtung stammt aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg und wurde unverändert, jedoch verkleinert, übernommen.
Schwingsägen, Lochäxte, Beile symbolisieren die Zunft der Zimmerleute. Ein gezimmertes Eckstück eines Ludwigshütter Fachwerkhauses zeigt eine früher übliche, recht verwickelte Konstruktion. Daneben steht eine hölzerne Schraubvorrichtung. Sie wurde benutzt beim Verschieben von Fachwerkhäusern.
Ferner finden wir Geräte, wie sie in der Landwirtschaft verwandt wurden: z. B. eine wundervoll geschnitzte, bereits im Jahre 1786 mit Vorschub ausgerüstete eisenbeschlagene Häckselbank, Holzspaten, geschnitzte und farbig angelegte Joche, Doppeljoche und Kuhglocken, Honigschleudern und Milchzentrifugen.
Dem Beruf des Metzgers ist ein ganzes Ladengeschäft gewidmet. Solche gab es ehemals auf den Dörfern nicht, denn dort mästete, schlachtete, pökelte, räucherte jede Familie einschl. Lehrer und Pfarrer selbst. In der Stadt war das schon anders. So befinden wir uns hier, wie der Blick durch das damals kleine „Schaufenster" zeigt, auf dem Marktplatz zu Biedenkopf. Die Frau Meister bedient selbst. Zur Verfügung stehen ihr 2 Vorläufer des Fleischwolfes in Holz und emailliertem Gußeisen, Hackebeile, Messer, Pendelwaage, Schneid-bretter. Sie hat guten Kontakt mit ihren Kunden und scheint zu fragen, ob es „ein Viertel mehr sein darf". Im Regal an der Rückwand sieht man Werkzeuge zum Enthäuten geschlachteter Rinder.
Die Strumpfwirker sind vertreten durch eine seltene, recht komplizierte Strumpfwirkmaschine, auf der auch Zipfelmützen hergestellt wurden.
An die Bleiverglaser erinnert ein Arbeitstisch mit mehr oder weniger bekannten Werkzeugen zum Gießen, Rändeln, Biegen und Löten der Bleileisten.
Bevor wir diesen Handwerkerraum verlassen, richten wir einen Blick auf die hochinteressante gotische Holzkonstruktion des Dachstuhls des Schloßgebäudes. Wie kompliziert ist die Verzapfung der Riegel und Pfosten und wie schlecht scheint sie an einigen Stellen gearbeitet zu sein. Das Gewicht der Holzkonstruktion und der Beschieferung des riesigen Dachstuhles haben die Balken verbogen und verdreht, so daß stellenweise die Verzapfung nicht mehr gesichert erscheint. Das Holzwerk hat aber als Fußbodenbelag war ehedem das ganze Schloß ausgelegt. Wir befinden uns hier im letzten diesbezüglich unberührt gebliebenen Raum.
Die Entwicklung der Eisenindustrie an der oberen Lahn
Zum Abschluß unseres Museumsbesuches gehen wir eine Treppe höher. Dort wird ausschließlich den vor- und frühgeschichtlichen Bodenfunden im Hinterland und auf dem Schloßberg, und der Entwicklung der Eisenindustrie im oberen Lahntal Raum gegeben, und dies umfaßt etwa die letzten 2000 Jahre. Der Ablauf der historischen Entwicklung der Gewinnung und Verarbeitung des Eisens wird nicht nur in Landkarten, Aufstellungen, Tabellen und Dioramen und Erläuterungen, sondern auch an praktischen und künstlerisch wertvollen Erzeugnissen und Abfallprodukten belegt. Werkzeuge und schließlich größere Fotos vervollständigen die Ausstellung, wobei soziologische Aspekte ebenso anklingen, wie auch gezeigt wird, daß der Mensch das spröde Material „Eisen" nicht nur zweckbestimmend zu formen wußte, sondern auch kunstvoll zu gestalten verstand.
Im Einzelnen wird nachgewiesen, daß es die Kelten waren und woher sie kamen, die in unser Gebiet um 500v. Chr. die Kenntnis der Eisengewinnung mitbrachten, die seitdem hier bis Ende des 19. Jahrhunderts betrieben wurde.
In 3 Dioramen wird körperlich dargestellt wie zunächst das Eisen in einfachsten, den vorherrschenden Westwinden zugewandten „Windöfen" gewonnen wurde. Die zeitlich mit großem Abstand erfolgten Erfindungen von Blasebalg und Wasserrad steigerten die Eisenerzeugung und erlaubten darüber hinaus den Bau größerer Öfen. Schließlich wurden vielerorts mit Holzkohle betriebene Hochöfen gebaut, die ungezählten Berg- und Hüttenleuten, Köhlern und Fuhrleuten, Formern und Schmieden Arbeit und Brot gaben. Von dieser Zeit künden heute noch die vielen Ortsnamen mit der Endung „-hütte" im oberen Lahntal. Doch unaufhaltsam verdrängte der Kokshochofen die mit Holzkohle befeuerten Öfen, die schließlich alle bis 1890 erloschen. Geblieben sind aber die Gießereien, die nun anderen Ortes erblasenes Roheisen schmelzen und vergießen.
Diese bescheidene Schau dürfte in manchem Betrachter das Gefühl dafür wecken, daß die Männer am Feuer Respekt verdienen, weil sie, im für das menschliche Auge unzugänglichen Inneren ihrer glutvollen Öfen Eisen zu gewinnen vermochten, und das mit ursprünglich fürwahr primitivsten Mitteln. Und daß sie es verstanden, das Eisen in einer 2. oder 3. Glut formgebend zu vergießen oder zu schmieden, es darüberhinaus zu veredeln und zu härten. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß Eisen, ehern und ehrend die gleiche Sprachwurzel haben.
Um die Jahrhundertwende begann im Hinterland der Aufschwung der Eisen verarbeitenden Industrie, besonders der Gießereien, der sich nach dem 1. Weltkrieg — nach der Entwicklung von Formmaschinen — lebhaft fortsetzte.
Der Übergang von der Hand- zur Maschinenformerei stellte höhere Anforderungen an den Modellbau, und die Guß weiterverarbeitende Industrie an die Maßgenauigkeit der Gußstücke. Das hatte die Entstehung einer Anzahl Gießereimodelle bauender Spezialbetriebe in unserer engsten Umgebung begünstigt. Diese entwickelten sich vom Zulieferant an Gießereibetriebe hinaus zum Hersteller komplizierter Preß- und Stanzwerkzeuge, von Druckgußformen höchster Präzision, zum Hersteller von Metzgereimaschinen, von automatischen Fleischwarenfabrikeinrichtungen und von Schlachthofan-lagen internationaler Bedeutung.
Das war ein Blick ins Hinterland.
Sicherlich wird das Schloß Biedenkopf ein Wallfahrtsort und eine Sonntagsstube des Hinterlandes bleiben, in der man die Natur der Heimat, ihre Geschichte, ihre Kunst und ihren Gewerbefleiß kennenlernen kann.
Quellennachweis
Über Geschichte von Stadt und Burg und ehemaligen Kreis Biedenkopf liegt folgende Literatur vor, die z. T. bei der Abfassung dieses Führers Verwendung fand:
Blöcher, Elsa: Das Hinterland. Ein Heimatbuch. Biedenkopf (Stephani) 1953.
Görich, Willi in Sante, G. W.: Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, IV. Hessen, Stuttgart (A. Kröner) 1960.
Dersch, Wilhelm: Oberhessische Heimat-Geschichte Marburg (El-wert) 1925.
Lennarz, Ulrich: Die Territorialgeschichte des hessischen Hinterlandes (Elwertsche Verlagsbuchhandlung Marburg 1973).
Schmitt, Karl: Biedenkopf an der Lahn — Begegnung in Bildern. Wetzlarer Verlagsdruckerei 1965.
Ich habe dieses kleine Büchlein eingescannt, und es ist nun auch als PDF-Dokument verfügbar.